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Berlin – damals und heute: der Kurfürstendamm

Das Charisma Berlins macht nicht zuletzt seine große Vielfältigkeit aus. Die deutsche Hauptstadt hat dabei kein Zentrum, um das sich das urbane Leben dreht. Vielmehr besteht Berlin aus vielfältigen Bezirken mit ganz eigenem Charakter. Ihre individuelle Geschichte prägt die großen Straßen und Kieze der Stadt dabei nachhaltig.

Seit über einem halben Jahrhundert ist RUWE täglich in den Bezirken, Straßen, Grünanlagen und Häusern Berlins unterwegs. In unserer Journal-Serie „Berlin – damals und heute“ möchten wir einen genauen Blick auf die verschiedenen Kieze Berlins werfen und wie sich diese im Lauf der Zeit verändert haben.

Der Kurfürstendamm: die Champs-Élysées Berlins

In diesem Jahr wird der Kurfürstendamm, oder auch kurz Ku'damm, 130 Jahre alt. Politische und gesellschaftliche Entwicklungen in Stadt und Bezirk gingen auch am Kurfürstendamm nicht spurlos vorbei. Boutiquen, Shoppingcenter, Hotels, einige von Berlins erlesensten und namhaftesten Adressen befinden sich zu den Seiten des Kurfürstendamms. Doch seit Handel und Kultur auch in vielen anderen Bezirken der Stadt aufblühten, änderte sich auch die Atmosphäre des berühmten Ku'damms.

Insbesondere der Einkaufsbereich um Fasanenstraße und Tauentzienstraße gehört immer noch zum Pflichtprogramm für Berlinbesucher, hat aber jene Wichtigkeit verloren, die er zu Zeiten West-Berlins innehatte.

Kreuzung Kurfürstendamm und Georg-Wilhelm-Straße, Postkartenmotiv um 1900.

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Das 19. Jahrhundert: vom Bohlenweg zum Boulevard

Die Ursprünge des Kurfürstendamms gehen zurück bis ins 16. Jahrhundert. Auf diesem befestigten Bohlenweg gelangten die Berliner Kurfürsten über sumpfigen Untergrund sicher zu ihren außerhalb der Stadt gelegenen Anwesen im Grunewald.

Doch gegen Mitte des 18. Jahrhunderts entwickelte sich Berlin mehr und mehr zu einer europäischen Metropole und man verglich sich zusehends auch mit Weltstädten wie Paris. Die Bewohnerzahl stieg im Rahmen der Industrialisierung rasant an. Ein wachsendes Bürgertum forderte dabei auch mehr städtische Aufenthaltsqualität wie beispielsweise durch Vergnügungsmeilen à la Champs-Élysées.

Otto von Bismarck war es, der nach Ende des Deutsch-Französischen Krieges veranlasste in größeren, repräsentativen Dimensionen zu denken. Hierzu inspirierten ihn nicht zuletzt die Eindrücke aus der französischen Hauptstadt.

Mit gut 50 Metern Straßenbreite war die 1875 geplante Umsetzung des Kurfürstendamms nur in etwa halb so breit wie die Champs-Élysées. Für Berliner Verhältnisse erschienen diese Pläne aber immer noch außergewöhnlich. Die nötigen privaten Finanziers für das Vorhaben zu vereinen, offenbarte sich jedoch alles andere als einfach und zögerte die Bauarbeiten über Jahre hinaus.

Die schließlich gebildete „Kurfürstendamm-Gesellschaft” erhielt durch die Finanzierung ebenfalls die Option auf attraktives Baugelände im Grunewald. Der neue Boulevard sollte somit direkt in eine strahlende Villenkolonie führen.

Die Künstler-Avantgarde des frühen 20. Jh. traf sich in den Cafés auf dem Kurfürstendamm.

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Protz und Prunk: Architektur am Kurfürstendamm

Die bis ins frühe 20. Jahrhundert geschaffenen Wohnhäuser waren keineswegs von allen Berlinern gern gesehen. Den gigantischen Wohnungen mit mehr als 15 Zimmern und den prunkvollen Stuckfassaden haftete für viele ein geschmackloser Pomp an. Über hundert Jahre später sind die großzügigen Altbauwohnungen am Kurfürstendamm allerdings ganz besonders begehrt.

Zeiten des Aufruhrs: Avantgarde im Kaiserreich

Die wachsende Metropole Berlin und auch der sich verwandelnde Kurfürstendamm wurden zum Schauplatz gesellschaftlicher Widerstände. Im sagenumwobenen „Café des Westens“ traf sich die künstlerische Avantgarde der Zeit, von Richard Strauss über Georg Grosz bis zu Else Lasker-Schüler.

Das KaDeWe kurz nach seiner Eröffnung 1907.

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Wichtige künstlerische Strömungen des 20. Jahrhundert fanden auch hier ihre Ursprünge und standen im Fadenkreuz der erzkonservativen Öffentlichkeit der Kaiserzeit. Dazu zählten später auch die Maler der Berliner Secession, die in der Galerie von Max Liebermann auf dem Kurfürstendamm ausstellten – getragen vom liberalen, oft jüdischen, Großbürgertum und verachtet von Souverän und Militär.

Das bekannte Künstlerlokal Romanisches Café um 1900. Heute befindet sich an jener Stelle das Europa-Center.

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Luxuriöse Einkaufsstraße: KaDeWe und Co.

Mit der Eröffnung des Kaufhaus des Westens 1907 und seinem unverhofft großem Erfolg verwandelte sich die gesamte Gegend um Tauentzienstraße und Kurfürstendamm in den Einkaufskiez des Westens. Touristen, Anwohner und Bürger aller gesellschaftlichen Klassen schmissen sich in Schale und präsentierten sich auf dieser neuen Bühne des Konsums und der Eitelkeiten.

Berlin West wurde zum ‚Place to be‘. Alle großen Kaufhäuser eröffneten glamouröse Filialen und das mit extravaganten Gestalten durchzogene Publikum ließ das alte Zentrum Berlins antiquiert und überholt wirken. Kaiserreich und Moderne geraten hier aneinander, eine Entwicklung, die durch den ersten Weltkrieg nur einen zeitweisen Aufschub erhielt.

Die goldenen Zwanzigerjahre

Nirgends in Berlin waren die berühmten Zwanzigerjahre so golden und wild wie auf dem Kurfürstendamm. Hier waren die einschlägigen Tanzlokale, Kabaretts und Theater mit halbseidenem Ruf. Doch gerade dieser Ort der Extreme und des liberalen Lebensgefühls wurde im Laufe der zwanziger vermehrt zum Schauplatz rechter Gewalt. Immer stärker geraten hier bereits Juden und jüdische Läden ins Visier der SA-Gruppen, die ihr Unwesen auf dem Kurfürstendamm trieben und gegen „undeutsches“ Verhalten agierten.

„Berlin, Kurfürstendamm“, Juli/August 1945, von Henryk Gorovits, Quelle: Bundesarchiv

CC BY-SA 3.0 DE, (Ausschnitt angepasst)

 

Nationalsozialismus und Zerstörung im Zweiten Weltkrieg

In den 1930er Jahren wurde der Kurfürstendamm zum Inbegriff des von den Nazis verhassten Liberalismus der Weimarer Republik. Gesellschaftlich bekannte Juden mussten bereits 1933 emigrieren. Im Gegensatz zu anderen Kiezen Berlins blieb der Kurfürstendamm noch längere Zeit international geprägt, inklusive Vorführungen amerikanischer Filme und Verkauf internationaler Presse. Doch dieser Umstand schützte nicht vor der systematischen Auslöschung des kompletten jüdischen Einzelhandels während der Novemberpogrome 1938. Nur ein Jahr später waren alle entrissenen Geschäfte in „arischer“ Hand.

Wie große Teile Berlins wurde auch der Kurfürstendamm in den Bombenkriegen ab 1943 stark zerstört. Prägende Bauten wie das Romanische Café oder die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche brannten nach Angriffen vollständig aus und gegen Ende des Krieges wurde der Boulevard sogar als Startbahn für Kampfflieger genutzt.

John F. Kennedy fährt bei seinem Besuch 1963 in West-Berlin auf dem Kurfürstendamm entlang. Hier zu sehen mit Willy Brandt.

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Wiederaufbau und kalter Krieg

Von den einst weit über 200 Häusern am Kurfürstendamm waren nur noch gut 40 bewohnbar. Der Rest war in Schutt und Asche gelegt, ebenso sah es im restlichen historisch gewachsenen Berlin aus. Der Wunsch Berlin architektonisch neu zu gestalten war zwar groß, doch aufgrund der unsicheren politischen Lage konnte man sich nicht auf definitive Bebauungspläne einigen.

Als sich in Berlin die Fronten und damit auch die definitive Teilung der Stadt offenbarten, wurde der Kurfürstendamm einmal mehr zu Symbol und Angriffsfläche zweier unterschiedlicher Weltanschauungen. Auf einer Seite stand der sozialistische Osten, der in dem Boulevard kapitalistische Dekadenz und moralischen Verfall des Westens sehen wollte. West-Berlin jedoch war schon in den 1950er stolz auf seine wieder aufblühende Prachtstraße. Beide Blicke jedoch waren mehr Propaganda als Spiegel der tatsächlichen Ereignisse. Bis Ende der 1950er war der Kurfürstendamm immer noch weitgehend geprägt von Ruinen.

„Schaubühne“ (flickr.com) von Oh-Berlin.com; die neue Schaubühne am Lehniner Platz 1981 eröffnet.

CC BY 2.0, (Ausschnitt angepasst)

 

Die 1960er: Veränderung und Aufstände

Bereits 1946 fand sich auf dem Kurfürstendamm wieder ein lebhafter Einzelhandel. Doch die aufblühende Modeindustrie kam mit der Teilung der Stadt schnell wieder zum Erliegen. In den 1960er Jahren wurden zahlreiche Einkaufscenter auf dem Kurfürstendamm errichtet. Dazu zählen u. a. das heute noch stehende Europa-Center, das Wertheim-Kaufhaus oder Kudamm-Eck. Viele Bauten wurden von staatlicher Seite finanziert und beheimateten auch öffentliche Einrichtungen.

Doch auch politisch wurde der Kurfürstendamm zur Bühne von Konflikten zwischen Ost und West. Als legendäre Highlights sind hier die Fahrt John F. Kennedys 1963 über den Boulevard zu nennen, die Demonstrationen gegen die Besetzung der Tschechoslowakei und die Notstandsgesetzgebung sowie die Tumulte nach dem Attentat auf Rudi Dutschke.

„Gedächtniskirche“ (flickr.com) von Metropolico.org. Ein prägender Anblick der alten City-West und des heutigen Kurfürstendamm.

CC BY-SA 2.0, (Ausschnitt angepasst)

 

Kultur als Gegenprogramm in den 1980er Jahren

Bis in die 1980er hinein wurden die öffentlichen Stimmen lauter, die den Abstieg des Kurfürstendamms beanstandeten. Billige Spiellokale, günstiger Wochenend-Tourismus und ein Entfernen vom einst für den Boulevard so wichtigem Kulturleben. Kommissionen wurden gegründet, um den alten Glanz wiederherzustellen, Stuckfassaden zu renovieren oder Kunst im öffentlichen Raum auszustellen, 1981 wurde dann die Schaubühne am Lehniner Platz eingeweiht, bis heute eine der wichtigsten Bühnen der Stadt.

Die Wende und die Neuerfindung des Boulevards

Zu Zeiten der Mauer war der Kurfürstendamm Sehnsuchtsort der Ost-Berliner und der gesamte Kiez Zentrum des öffentlichen Lebens in West-Berlin. Doch nach der Wende verlagerte sich das Gewicht im neuen Berlin.

Die alte Mitte um Brandenburger Tor, Unter den Linden, Alexanderplatz, Friedrichstraße und Potsdamer Platz, vor dem zweiten Krieg noch Inbegriff kaiserzeitlicher Antiquiertheit, rückte ins Zentrum der neuen Aufmerksamkeit, war modern und aufregender als die alte City-West. Hier bildete sich das neue Regierungsviertel, hier suchten und fanden Investoren, hier zog es die neuen Touristen aus der ganzen Welt hin.

Die immerwährende Veränderung

Kritische Stimmen besingen natürlich schon lange den Untergang des großen Kurfürstendamms. Wenn wir uns aber das gesamthistorische Bild anschauen, stellen wir fest: Den einen wahren Kurfürstendamm gab es nie. In seiner 130-jährigen Geschichte war der Boulevard ständiger Veränderung ausgesetzt, fortlaufender Anpassung an politische, gesellschaftliche und finanzielle Gegebenheiten.

Nichts anderes sehen wir heute. Die strahlenden Orte aus West-Berlin-Zeiten haben aktuell vielleicht etwas an Anziehungskraft verloren. Die eingangs beschriebene Vielfalt Berliner Kieze sorgt für innerstädtische Konkurrenz. Bezirke müssen kreativ sein, um das Interesse der Bevölkerung und Touristen an sich zu binden. Szenekieze und Milieus wechseln und verändern sich schnell und so wird auch der Kurfürstendamm nicht untergehen – er wird sich verändern, wie unser gesamtes fabelhaftes Berlin.

Die über 500 Mitarbeiter von RUWE sind jeden Tag aufs Neue fasziniert von dieser aufregenden, sich ständig verwandelnden Stadt. Unser Herz schlägt für alle Bezirke. Freuen Sie sich also auf unseren nächsten Journal-Beitrag aus der Serie „Berlin – damals und heute“.